- Muß man wirklich acht
Stunden am Tag üben, wenn man Konzertpianist werden
will?
- Was versteht man
genau unter Technik?
- Muß man 60 Jahre alt
werden, um musikalische Reife zu
erlangen?
- Braucht man
Tonleitern und trockene Übungen?
- Ich habe vielleicht
zu viel (und womöglich auch mit falscher Technik) geübt,
und mir tut alles weh!
- Warum habe ich
Gedächtnislücken?
- Muß man überhaupt
auswendig lernen und spielen?
- Warum habe ich
Lampenfieber?
- Ich spiele doch
ausgezeichnet, warum fühle ich mich trotzdem
unwohl?
- Was ist ein "Echtes
Rubato", was ein "Falsches Rubato"?
- Was ist wirklich
Rhythmus, was sind "Punkte in der Zeit" und was ist
"Gruppenordnung";
was sind Proportionen in der Musik und wozu braucht man
sie?
- Gibt es in der Musik
auch Yin-Yang...?
- Brauche ich beim
Klavierspielen den Körper?
Wenn ja, soll ich ihn direkt einsetzen oder nur indirekt, als
Stütze?
- Warum verkrampfe ich
mich beim Klavierspielen?
- Was müsste bei mir
locker sein?
Ist eine gewisse Spannung vielleicht doch notwendig, oder muss ich
sie in jedem Fall vermeiden?
- Sind auch Gewicht
und Druck notwendig?
- Muß die Handhaltung
wirklich "natürlich" sein?
- Wie soll meine
Handhaltung ausschauen, wenn ich ohne Gewicht und Druck spielen
will?
- Und die
Körperhaltung... gibt es auch hier genaue Anweisungen? Wie hoch und
in welcher Entfernung zur Tastatur soll ich am Klavier
sitzen?
- Wie wirken sich
physikalische Gesetze beim Musizieren
aus?
- Was ist Spannung in
der Musik, und wie wird sie erzeugt?
- Muß man
wirklich acht Stunden am Tag üben, wenn man Konzertpianist werden
will?

Mit einer geeigneten Technik gibt es beinahe keine Hindernisse,
deren Überwindung eine so hohe Anzahl von Übungsstunden zu normalen
Zeiten (das heißt, nicht unmittelbar vor einer wichtigen
Verpflichtung) rechtfertigen könnte. Oft jedoch verursacht die
Klaviertechnik eher Hindernisse und Probleme, anstatt sie zu lösen.
Sind diese Hindernisse einmal vorhanden, muß der ganze Spielapparat
trainiert werden, um so stark zu sein, daß seine Kapazitäten über
diejenigen, die notwendig sind, um diese Hindernisse zu bewältigen,
hinausgehen. Die Schwierigkeiten einer bestimmten Passage werden in
fast allen Fällen von einer falschen Technik verursacht. Man sollte
daher die Technik perfektionieren, anstatt Passagen zu üben. Ist
die Technik in Ordnung, so gibt es natürlich trotzdem noch immer
Stellen, die schwieriger sind als andere, und die entsprechend mehr
Übungszeit (aber ganz gewiß keine acht Stunden am Tag) benötigen.
Die Probleme werden in erste Linie im Kopf gelöst und nicht mit
bloßer Muskelkraft. Vier bis fünf mit voller Konzentration geübte
Stunden sollten in den meisten Fällen ausreichen. Wenn die
Konzentration nachläßt, dann empfiehlt es sich, eine ganz kurze
Pause von einer bis zwei Minuten zu machen oder einfach etwas
anderes zu spielen; danach kann man in den meisten Fällen frisch
weiter üben.
- Was
versteht man genau unter Technik?

Unter Technik versteht man nicht einzelne Übungen, sondern die Art,
wie man Klavier spielt. Die Technik umfaßt alle Mittel, die wir zur
Verfügung haben, um unsere musikalischen Ziele zu erreichen. Sie
bezieht sich nicht nur auf den Spielapparat, sondern auch auf
andere Aspekte, wie zum Beispiel Rhythmus, Vortragsregeln, etc.
- Muß man 60
Jahre alt werden, um musikalische Reife zu
erlangen?

Das ist eine weit verbreitete Meinung. Zur Intuition und zum
musikalischen Talent summiert sich mit fortschreitendem Alter die
Erfahrung. Man hat gelernt, was die Zuhörer als angenehm und
richtig empfinden. Inwieweit diese Erfahrung auch Wissen ist, das
heißt, so weit bewußt, daß man in der Lage ist, das Erreichte
jederzeit zu reproduzieren oder es im Unterricht weiterzugeben, sei
dahingestellt. Wenn man aber die Gesetzmäßigkeiten der von
Tradition und Allgemeinheit gut und richtig eingestuften Art zu
musizieren erkannt hat und diese Gesetze so zu formulieren vermag,
daß sie auch von jungen Menschen verstanden und jederzeit
reproduziert werden können, dann hat dieses Alters-Mythos keine
Berechtigung mehr. Es gibt ganz konkrete und analysierbare
Unterschiede zwischen der als gut und reif und der als zwar
vielversprechend, aber noch unreif bezeichneten Art, Musik zu
machen.
- Braucht man
Tonleitern und trockene Übungen?

Tonleitern sind wichtig, um die Fingersätze der jeweiligen Tonart
zu lernen und diese dann wieder einzusetzen, wenn die entsprechende
Tonfolge vorkommt. Selbstverständlich muß man alle Tonarten
kennengelernt haben; das ist aber auch schon alles. Bitte lesen Sie
die Antwort zu meiner ersten Frage! Wenn die Technik stimmt,
braucht man keine Tonleitern, um die Muskeln zu trainieren und
Geläufigkeit zu erreichen. Muskeln braucht man, wenn man mit
Gewicht und Druck spielt und in der Lage sein muß, die unnötige
Last noch dazu schnell hin- und herzutransportieren. Ähnliches kann
ich zu den trockenen (musiklosen) Übungen sagen. Diesen sportlichen
Leistungen sind nicht alle Menschen gewachsen; außerdem führen sie
allzu oft zu Verletzungen oder Entzündungen bis hin zur
frühzeitigen Aufgabe des erwünschten Zieles.
- Ich habe
vielleicht zu viel (und womöglich auch mit falscher Technik)
geübt,
und mir tut alles weh! 
Das ist die Fortsetzung der obigen Antwort. Ihr Problem ist einfach
Überbelastung. Sie gehören zu den Menschen, die vielleicht nicht
die robuste Konstitution besitzen, um große sportliche Leistungen
durchzustehen, oder Sie haben nicht das Glück gehabt, von einem
guten Lehrer so geführt zu werden, daß Sie halbbewußt, trotz
Gewicht und Druck, durch gezielte Rotationsbewegungen, die dazu
dienen, die Gelenke beweglich zu halten, ohne Beschwerden spielen
können. Es geht aber auch anders: Wenn Sie lernen, ohne
Überbelastungen (das heißt vor allem, ohne Gewicht und Druck) zu
spielen, dann werden Sie sich von Ihren Beschwerden befreien
können, und zwar endgültig. Eine erzwungene Spielpause oder eine
medikamentöse Behandlung sind keine Dauerlösung; die Ursachen des
Problems müssen erkannt und beseitigt werden.
- Warum habe
ich Gedächtnislücken?

Um diese Frage beantworten zu können, muß ich einige Gegenfragen
stellen: Was heißt auswendig lernen? Wie bewußt sind Sie, wenn Sie
zu Hause, in aller Ruhe und ohne Aufregung, spielen? Glauben Sie
wirklich, jeden Ton im Kopf zu "sehen", bevor Sie ihn spielen? Es
gibt einen einfachen Test, um Ihren Bewußtseinsgrad festzustellen:
Versuchen Sie, bei einem bestimmten Stück die Reihenfolge der
Tasten für eine Hand mit dem Zeigefinger stumm (ohne Ton) zu
zeigen. Sie werden wahrscheinlich feststellen, daß es entweder gar
nicht geht, oder daß Sie dabei beträchtliche Lücken haben. Mit
diesem Test schalten wir einfach die Automatik aus. Ohne den
Fingersatz und ohne den Ton müssen Sie wirklich die Tasten (Noten)
wissen, um sie zeigen zu können. Das Gedächtnis besteht aus vielen
Schichten: dem fotografischen Gedächtnis (den Bildern), dem
"geographischen" Gedächtnis (der Geographie der Tastatur), dem
Gedächtnis der Bewegungsabläufe, vor allem des Fingersatzes, dem
akustischen Gedächtnis (den Tönen) und dem theoretischen Gedächtnis
(Harmonie, Form, etc.). Alle diese Elemente zusammen erzeugen die
"Bilder", die vor und während des Spiels in unserem Kopf
erscheinen. Meine "Kreis-Methode" hilft Ihnen, systematisch und
geordnet, Schicht für Schicht, auswendig zu lernen. Eine
detaillierte Erklärung dieser Methode können Sie per Email
anfordern. Auch wenn Sie mir sagen, daß Sie jeden
einzelnen Ton niederschreiben können, handelt es sich sehr
wahrscheinlich um ein rein theoretisches und daher statisches
Gedächtnis. Das Gedächtnis muß aber dynamisch sein, alle Ereignisse
müssen der Reihe nach, also im Verlauf der Zeit und in Form von
Bildern im Kopf erscheinen, bevor sie in die Wirklichkeit umgesetzt
werden. Wenn Sie mit Gewicht und Druck spielen, dann sind Sie nur
bedingt in der Lage, die Töne einzeln zu gestalten. Es entstehen
"globale" Rotationsbewegungen, die dazu dienen, die eingesetzten
Körpermassen hin- und herzutransportieren; auf dem Weg, sozusagen
"nebenbei", werden die Töne erzeugt. Die sich bewegenden
Körpermassen entwickeln ihre Eigendynamik und ihre Trägheit, sodaß
der Kopf, fast könnte man sagen, "als Beobachter" die
Geschwindigkeit der Bewegungen und die Lautstärke den eigenen
Vorstellungen gemäß zu lenken versucht. Man hat das Gefühl, "in
einer Wolke oder im Nebel zu sein" und nicht klar denken zu können.
Dieser Prozeß ist zum größten Teil automatisch. Durch stundenlanges
Üben wird diese Automatik so weit gestärkt, daß es halbwegs sicher
ist, vor Publikum auswendig zu spielen. Was passiert aber, wenn die
Automatik einmal versagt? Man bekommt panische Angst, wird unsicher
und verliert sein Selbstvertrauen. Es könnte jedes Mal wieder
passieren!... Man hat aber in Wirklichkeit kaum etwas vergessen,
denn man kann unmöglich etwas vergessen, das nie da war! Die
Elimination des Gewichtes und des Druckes erlaubt die direkte
Verbindung des Gehirns mit den ausführenden Fingern. Wenn man nicht
rollt und daher nicht von der Trägheit vorangetrieben wird, kann
man jeden Ton einzeln gestalten, den richtigen Zeitpunkt seiner
Erscheinung bestimmen und ihm den gewünschten Inhalt geben. Aus
einzelnen, bewußten und inhaltsvollen Tönen entsteht dann die
"große Linie". Nur unter diesen Bedingungen können die Intentionen
das Instrument erreichen und in Töne umgewandelt werden. Diese
bewußte Art, Klavier zu spielen bringt Klarheit im Kopf und
verhindert Gedächtnislücken.
- Muß man
überhaupt auswendig lernen und spielen?

Ja! Es ist absolut notwendig, auswendig zu spielen, vorausgesetzt,
man will bewußt spielen, eine Technik ebenso bewußt umsetzen und
jedem Ton seine eigenen Intentionen übermitteln. Wenn man mit
Gewicht und Druck spielt, basiert ein hoher Prozentsatz des Spiels
(wie oben erklärt) auf Automatik. Die musikalischen Intentionen
richten sich daher vorwiegend auf mehr oder weniger große Gruppen
von Tönen; eine direkte Einbindung der Intentionen bei einzelnen
Tönen ist sehr schwer (und gelingt meistens nur in extrem langsamen
Sätzen), weil dieses Vorhaben die bewußte Erzeugung dieser Töne
erfordert. Wenn man von Noten spielt, sind die Noten nur mehr der
Reiz, der die schon fast vollständig automatisierten Bewegungen
hervorruft. Das geschieht praktisch ohne bewußte Teilnahme der
Kopfes und geht sozusagen vom Notenbild durch die Augen direkt in
die Finger. Wenn man nicht weiß, WAS man spielt, dann kann man
unmöglich genau wissen, WANN und noch weniger, WIE man es
spielt.
- Warum habe
ich Lampenfieber?

Lampenfieber ist keine Krankheit! Es ist nur ein Zeichen: Es zeigt
die vielen Lücken, mit anderen Worten, die unbewußten Bereiche, die
man im Laufe der Jahre im Lernprozeß gesammelt hat. Lücken erzeugen
in jedem Fall Unsicherheit, umso mehr, wenn sie unbewußt sind. Man
ist unsicher, weil das auswendig gelernte Stück nur zu einem (oft
sehr kleinen) Teil im Kopf "gespeichert" ist, und man weiß außerdem
nicht genau, wie groß der fehlende Teil ist. Auch wenn oder gerade
weil man nicht auswendig spielt, sind die Bewegungen, die man bei
der Lösung von spieltechnischen Problemen benötigt, so "global"
(also an die "Mengen" von Tönen gerichtet), daß der prozentuelle
Teil der Automatismen seinen höchsten Wert erreicht. Unbewußte
Vorgänge können nur Unsicherheit und Angst hervorrufen, auch wenn
man sie stunden-, monate- oder jahrelang unermüdlich geübt und
vollkommen automatisiert hat. Nur wenige privilegierte und genug
unverantwortliche Menschen sind in der Lage, in einem solchen
Zustand der "Unwissenheit" öffentlich aufzutreten und trotzdem ohne
Lampenfieber glanzvolle Leistungen hervorzubringen.
- Ich spiele
doch ausgezeichnet, warum fühle ich mich trotzdem
unwohl?

Ihre Art zu spielen und sicher auch zu üben ist nicht effektiv
genug. Sie investieren zu viel Zeit, um ein mageres Produkt zu
erreichen. Dieses Produkt ist außerdem mangelhaft, auch wenn man
(vorausgesetzt, man hat einen "guten" Tag) manchmal oder sogar oft
sehr gut spielt. Die Mängel und die unbewußten Bereiche werden
durch Automatismen überbrückt. Wie schon oben erklärt, wissen wir,
daß Automatismen nur Unsicherheit und Angst erzeugen. Eine auf
Gruppen von Tönen gerichtete und daher oberflächliche Art zu
spielen und zu musizieren verhindert den bewußten Anschlag
einzelner Töne und macht so die Wechselwirkung der
Spannungsverhältnisse zwischen den Tönen unmöglich. Ohne
Spannungsverhältnisse und ohne ihre Wechselwirkung wird die Musik
schwer verständlich und daher auch uninteressant. Wenn man
musikalisch hochbegabt ist und ein großes Bedürfnis danach hat,
sich auszudrücken, dann soll man sich nicht wundern, daß man sich
mit einem so mangelhaften Produkt unglücklich fühlt!
- Was ist
ein "Echtes Rubato", was ein Falsches Rubato?

Was ist ein "Echtes Rubato", was ein Falsches Rubato? Da es immer
wieder zu Mißverständnissen und falschen Interpretationen, den
Begriff Rubato betreffend, kommt, verwende ich die Ausdrücke Echtes
Rubato und Falsches Rubato. Das Echte Rubato ist das Tempo Rubato,
wie es seit der Barockzeit bis weit in die Romantik verstanden
wurde. Dabei werden manche Melodienoten kürzer, manche länger
gespielt. Diese Veränderungen werden immer im bezug auf die
Begleitung gemacht. Die Begleitung selbst verändert ihre
gleichbleibende Geschwindigkeit nicht. Man kann ständig die Melodie
mit der Begleitung (die als Referenz fungiert) vergleichen, indem
man bei bestimmten Melodienoten "kürzer oder länger als diese
unveränderliche Referenz" denkt. Das Falsche Rubato ist die
"modernere Version" des Rubato; eigentlich sollte es zutreffender
Temposchwankungen heißen. In diesem Fall wird das allgemeine Tempo,
sowohl in der Melodie, als auch in der Begleitung, verändert. Die
Temposchwankungen laufen in allen Stimmen parallel und müssen
ausgeglichen sein. Das heißt, um langsamer werden zu dürfen, muß
man zuerst schneller geworden sein und umgekehrt; Hauptsache ist,
daß die Rechnung auf Null bleibt. Dieser Ausgleich findet meistens
innerhalb eines Taktes oder der Teile eines Taktes statt; in
einigen Fällen jedoch kann er sich über mehrere Takte erstrecken.
Sollte es keinen Ausgleich geben, dann haben wir es nicht mit
Rubato, sondern entweder mit Accelerando oder Ritardando zu tun.
Besonders in der Romantik finden wir oft beide Rubatoarten
gemeinsam. In den Chopin-Nocturnes gibt es zahlreiche Beispiele für
die gleichzeitige Anwendung beider Arten von Rubato. Die oft sehr
langen und schnellen Ornamentationen mit ungeraden Notenwerten
können nicht unter Beibehaltung des Grundtempos gespielt werden; da
muß die Begleitung einfach mitmachen und langsamer werden. Die
ungeraden Notenwerte sorgen, ganz im Sinne des Echten Rubatos,
dafür, daß kaum eine Note der Melodie mit der Begleitung
zusammenfällt. Ansonsten war das berühmte Chopin-Rubato ganz gewiß
stets ein Echtes Rubato. Hilfe für das Verständnis des Rubato
könnte auch die Beantwortung der Frage Was ist Rhythmus und was
sind Proportionen? bringen.
- Was ist
wirklich Rhythmus, was sind "Punkte in der Zeit" und was ist
"Gruppenordnung";
was sind Proportionen in der Musik und wozu braucht man
sie? 
Die Zeit als Abstraktum ist nur durch die Beobachtung der
Geschehnisse in ihrem Verlauf vorstellbar und messbar. In ihrem
konstanten Fließen von der Vergangenheit in Richtung Zukunft
erlaubt uns die Zeit, eine Ordnung innerhalb dieser Geschehnisse
festzulegen. Diese Ordnung könnte man nach Aristoteles als das
Verhältnis zwischen dem Vorher und dem Nachher von irgendetwas
definieren. Durch die Einteilung in Zeitbruchteile können wir
dieses "Etwas" zwischen einem Davor und einem Danach plazieren.
Denselben Begriff von Ordnung kann man in einem räumlichen Sinn
anwenden: Das "Etwas", in diesem Fall ein greifbares Objekt, ist
zwischen den Objekten, die vor und nach ihm sind, plaziert. Durch
diese Ordnung bringt es sich in Relation zu den sich vor und nach
ihm befindlichen anderen Objekten. Die Zeit selbst schreitet
kontinuierlich und unwiderruflich in Richtung Zukunft fort und läßt
gleichzeitig die Vergangenheit zurück. Die Gegenwart ist nichts
anderes als ein Punkt in ständiger Bewegung; sie ist die Grenze
zwischen dem Vorher und dem Nachher, ein winziger Punkt in der
unendlichen Linie Vergangenheit-Zukunft, ein Punkt in der Zeit.
Durch die Verbindung zwischen Raum und Zeit ist es uns möglich, uns
eine räumliche Einteilung der Zeit vorzustellen. In dem Begriff
Geschwindigkeit sind Raum und Zeit vereint. "Punkte in der Zeit"
sind die Stationen einer Strecke (das ist die Entfernung zwischen
zwei Punkten), die in einer bestimmten Zeit "gefahren" wird. Das
entspricht der physikalischen Definition der Geschwindigkeit. Die
Entfernungen sind konstant, doch die Zeit, die wir brauchen, um
durch eine bekannte und vordefinierte Strecke zu fahren, ist
variabel. Alles, was sich bewegt, unterliegt dem Gesetz der
Trägheit. Das schließt uns "Klavierspieler" und auch das Instrument
Klavier mit ein. Nach dem Trägheitsgesetz braucht jeder Körper in
Bewegung so viel zusätzliche Energie, wie er durch die Reibung
verliert, um seine Bewegung zu erhalten. Ohne Energieverlust würde
dieser Körper ewig in Bewegung bleiben. Ein Körper im Ruhezustand
würde genauso ewig in diesem Zustand bleiben, wenn man auf ihn
nicht eine Kraft einwirken ließe, die ihn in Bewegung setzt. Ein
Körper in Bewegung braucht daher viel weniger Energie, um seine
Bewegung zu erhalten, als derselbe Körper im Ruhezustand, um seine
Bewegung zu initiieren. Wenn man eine Gruppe von Tönen spielt, dann
ist jede weitere Bewegung nach dem ersten Ton leichter als beim
ersten Ton zu erzeugen; es besteht daher die Tendenz, schneller zu
werden. Um das zu vermeiden, müssen wir die Zeit, die durch die
kleine Beschleunigung innerhalb der Gruppe gewonnen wurde, vor der
nächsten Gruppe abwarten, um nicht unkontrolliert schneller zu
werden ("zu laufen"). Diese Gruppierung findet in jeder
Notenwertebene statt. Jeder Punkt in einer Ebene fixiert auch die
Position der ersten Note der jeweiligen Gruppe in der unmittelbar
untergeordneten Ebene innerhalb des Taktes. So entsteht eine
hierarchische Struktur: die "Gruppenordnung". (Die Trägheit ist
ganz gewiß nicht die einzige Ursache für die Gruppenordnung; es
würde aber an dieser Stelle zu weit führen, auf die anderen
Faktoren einzugehen.) Die Gruppenordnung stellt die Proportionen,
das heißt, die relativen Abstände zwischen den Tönen, dar. Die
Proportionen sind in Prinzip fix, können aber nach Bedarf an die
Bedürfnisse der Musik angepasst werden. Diese Korrekturen bilden
dann neue, veränderte Proportionen, die wiederum fix sind. Die
Geschwindigkeit kann jederzeit geändert werden, nicht aber die
Proportionen; die so fixierten "Punkte in der Zeit" bleiben an
ihren Plätzen verankert. Die Proportionen sind unbedingt notwendig,
damit wir immer wissen, in welchem Teil des Taktes (mit anderen
Worten, des Musikflusses) wir uns gerade befinden. Die Proportionen
bilden die Referenzpunkte, die wir brauchen, um zum Beispiel die
Geschwindigkeit zu verändern, oder um bestimmte Noten länger oder
kürzer als die von den Proportionen vorgegebenen Noten zu gestalten
(Echtes Rubato).
- Gibt es in
der Musik auch Yin-Yang...?

Die chinesischen Begriffe Yin und Yang stehen für zwei
entgegengesetzte und sich ergänzende Kräfte oder Elemente. Wir
finden diese Gegensätze überall; hier sind einige Beispiele in der
Reihenfolge Yang-Yin:
Feuer-Wasser
Tag-Nacht
Himmel-Erde
Wärme-Kälte
männlich-weiblich
trocken-feucht
Licht-Finsternis
hell-dunkel
hart-weich
eckig-rund
geradlinig-kurvig
explosiv-implosiv
Kinetische Energie-Potentielle Energie
Zentrifugale Kraft-Zentripetale Kraft
aggressiv-defensiv
kurzlebig-langlebig
expansiv-verdichtend
aktiv-passiv
kreativ (schöpferisch)-rezeptiv (empfangend)
Yin-Yang ist universell und daher nicht geschlechtsspezifisch.
Sowohl beim männlichen als auch beim weiblichen Geschlecht sind
Yin- und Yangkräfte vorhanden. Bei der Frau sind die
Yineigenschaften meistens stärker ausgeprägt als die
Yangeigenschaften und umgekehrt. Für uns Musiker ist es wichtig zu
wissen, wie sich die Kräfte beim Klavierspielen und beim Musizieren
entwickeln. Diese Kräfte können auf- oder absteigend sein, die
allgemeine Spannung kann zu- oder abnehmen, und die Bewegung kann
langsamer oder schneller werden. Der Anschlag kann direkt, kurz und
schnell, also Yang sein, oder Yin sein, das heißt, seine
Geschwindigkeit infolge einer erhöhten Anfangsspannung zunehmend
entwickeln; die für die Entstehung des Anschlages notwendigen
Bewegungen können rund und der Weg bis zur Erscheinung des Tones
etwas länger sein. Der Rhythmus ist vom Yin-Yang direkt betroffen.
Schwere Taktteile sind nicht nur schwer; sie sind auch Yang;
umgekehrt sind leichte Taktteile auch Yin. Wie schon bei der
Gruppenordnung erklärt, gibt es auch hier eine hierarchische
Gruppenstruktur. Da Yin und Yang keine absoluten, sondern relative
Begriffe sind, kann man nur Gleiches mit Gleichem vergleichen und
so feststellen, ob ein Element mehr Yang oder mehr Yin als ein
anderes ist. Größere Gruppen, die mit gleich großen verglichen
werden, und relativ mehr Yang oder mehr Yin sind, beinhalten auch
kleinere Elemente, die, wiederum miteinander verglichen, mehr Yang
oder Yin sein können. Bei kleinen Elementen äußert sich das
Yin-Yangprinzip eher in der Qualität der Anschlages, und bei
größeren Elementen äußert es sich in der Qualität (in der Form und
der Spannung) und in der Entwicklung der Geschwindigkeit der
Bewegungen (mit anderen Worten, in den Temposchwankungen).
Zusammenfassend (und stark vereinfacht!) könnte man sagen, daß Yang
das mit Hilfe der Schwerkraft Herabfallende, die schnelle Abnahme
der Spannung und die Zunahme der Geschwindigkeit bedeutet und Yin,
genau umgekehrt, das gegen die Schwerkraft Aufsteigende (das mit
einer größeren Anstrengung verbunden ist), die langsame Zunahme der
Spannung und die damit verbundene Verringerung der Geschwindigkeit.
Das richtige Musizieren von vier- oder achttaktigen Perioden mit
den entsprechenden kleinen Verlangsamungen nach vier und/oder acht
Takten ist nur ein kleines Beispiel für die Anwendung des
Yin-Yangprinzips.
- Brauche
ich beim Klavierspielen den Körper?
Wenn ja, soll ich ihn direkt einsetzen oder nur indirekt, als
Stütze? 
Ja! Ohne Körpereinsatz kann man nicht Klavier spielen. Bis zur
Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Tasteninstrumente sehr
leichtgängig; sie hatten auch einen sehr seichten Tiefgang. Mit der
Entwicklung des Hammerklaviers zum modernen Flügel und dem Trend
zum größeren Ton wuchsen sämtliche Dimensionen. Der Tiefgang
verdoppelte sich, genauso wie das Tastengewicht (letzteres in
vielen Fällen sicher mehr als doppelt so viel). Besonders die
Flügel mit Wiener Mechanik (der Weiterentwicklung der
Hammerklaviermechanik), die in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts die überwiegende Mehrzahl darstellten, waren sehr
schwergängig. Die Folge war klar: Mit bloßer Fingerkraft war man
nicht mehr in der Lage, die Tasten effektiv niederzudrücken (das
heißt, sowohl die Anschlagsgeschwindigkeit als auch die Tastenfolge
betreffend, schnell genug niederzudrücken), sodaß die damit
erreichte Lautstärke des Tones und das damit erreichte Tempo
zufriedenstellend waren, und noch dazu, ohne müde zu werden! Viele
florierende Klaviertechniken verloren somit schnell an Wichtigkeit
und verschwanden schließlich ganz, wie zum Beispiel die berühmte
Logiermethode mit dem Chiroplast, dem Handleiter: einer Leiste, auf
der man das Armgewicht bequem auflegen und daher nur mit den
Fingern, ohne Gewicht, spielen konnte. Die logische Reaktion war
der zunehmende Einsatz der Körpermassen beim Klavierspielen. Diese
Körpermassen wurden direkt eingesetzt, das heißt, direkt in die
Tastatur hineingeworfen. Diese Technik ist, in den verschiedensten
Variationen, die bis heute am weitesten verbreitete. Das Problem
dabei ist, daß die Trägheit solcher Massen schwer kontrollierbar
ist. Die Körpermassen entwickeln ihre eigene Dynamik, was die
zeitliche Einteilung der Bewegungen und ein genaues Zielen
erschwert. Diese mangelnde Kontrolle beeinträchtigt auch die
Anschlagsqualität. Die Folgen sind schwerwiegend und reichen in
vielen Fällen bis zu Konzentrationsschwächen, Gedächtnislücken und
schmerzhaften Beschwerden. Die Alternative ist die indirekte
Verwendung der Körpers. Der Körper bleibt dabei "oben", mit anderen
Worten, man läßt die Körpermassen nicht frei hinunterfallen. Das
Körpergewicht fließt zum Sessel hin, und die Finger bleiben dabei
frei. Mit gezielten "Impulsen" werden die Tasten bewegt, wobei der
Körper als Stütze und Referenzpunkt für gezielte Bewegungen
verwendet wird; man spielt sozusagen nicht "mit", sondern "gegen"
den Körper. So kann man die Anschlagsgeschwindigkeit genau
kontrollieren und den Zeitpunkt des Anschlages sowie auch dessen
Qualität bestimmen. Ohne die als Rückendeckung wirkenden
Körpermassen hätten die Finger nicht genügend Kraft, alle ihre
Aufgaben zufriedenstellend zu erfüllen.
- Warum
verkrampfe ich mich beim Klavierspielen?

Gewicht und Druck erfordern eine Hand- und Körperhaltung, die das
Hin- und Hertransportieren der auf die Finger fallenden,
beziehungsweise auf die Finger wirkenden "Körpermassen" aushält.
Dadurch wird die Handfläche rund und die Hand schließt sich. Damit
verliert sie an Spannweite und die Finger büssen auch einen Teil
ihrer Unabhängigkeit ein. Sie arbeiten dann zusammen mit dem Daumen
mit greifähnlichen Bewegungen. Diese Bewegungen zielen zum
Mittelpunkt der Hand und entsprechen daher nicht der Richtung in
der sich die Tasten bewegen. Dieses Phänomen verursacht zusätzliche
Spannungen, die den Druck erhöhen. Die Finger bilden daraufhin
kleine Säulen, die das Gewicht und den Druck aushalten müssen. Die
Verminderung der Bewegungsfreiheit und die schwere Last führen in
der Folge zu zunehmender Steifheit. Als Ausgleich dazu versucht man
mit rollenden Bewegungen den "Transport der Massen" zu erleichtern
und die Gelenke locker zu halten. Das Bedürfnis locker zu sein wird
so zu einer obsessiven Idee. Übermässige Lockerheit versetzt uns in
einen passiven Zustand, in dem wir vielen pianistischen Aufgaben
nicht mehr ausreichend gewachsen sind. Der Ton wird schwächer und
die Geschwindigkeit läßt nach (besonders bei lauten Passagen); als
Ersatz dafür drücken wir umso mehr und strengen uns zusätzlich an,
um diese Schwäche zu kompensieren. Demzufolge wird aus der
Lockerheit eine erneute Verkrampfung und der Teufelskreis setzt
sich fort..
Als Alternative bietet sich die Eliminierung des Gewichtes und des
Druckes mittels einer angenehmen, bewußten und kontrollierbaren
Spannung (Katzen- oder Jägerhaltung) an, die den aktiven Zustand
gewährleistet und somit einen hohen Wirkungsgrad erreicht, welcher
Überanstrengungen unnötig macht. Die Gelenke werden dabei nach
jedem Anschlag fixiert, um das freie Fallen der beteiligten
Körperteile zu verhindern. Hier muß man zwischen Fixieren und
Steifsein unterscheiden. Das Fixieren (es bezeichnet eine bewußte
Verankerung einer bestimmten Position - die leicht willentlich
verändert werden kann) erlaubt mir jederzeit die eingenommene
Position ungehindert zu verlassen und eine neue einzunehmen; ich
bin daher in meiner Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt. Wenn ich
dagegen steif bin, kann ich mich nur schwer bewegen. Diese
Bewegungseinschränkung wird durch den Einsatz von noch mehr Kraft
(Druck) "kaschiert", was wiederum eine Steigerung der Steifheit
verursacht.
- Was müsste
bei mir locker sein? Ist eine gewisse Spannung vielleicht doch
notwendig, oder muss ich sie in jedem Fall
vermeiden?

Siehe Frage Nr.
14.
- Sind auch
Gewicht und Druck notwendig?

Siehe Frage Nr.
14.
Gewicht und Druck sind nicht nur nicht notwendig, sondern sie sind
auch die Quelle der meisten Probleme beim Klavierspiel. Diese
Probleme können fallweise überbrückt werden, indem man die
Muskulatur des gesamten Spielapparates durch intensives Training so
weit stärkt, dass sie in der Lage ist, den treffsicheren "Transport
der Massen" zu sichern. Das erfordert nicht nur viele
Übungsstunden, sondern auch eine entsprechend robuste Konstitution,
um diesen enormen Anstrengungen gewachsen zu sein. Menschen mit
einer etwas schwächeren Konstitution, die vielleicht auch nicht das
Glück hatten, ein verantwortungsvolles und kompetentes Training zu
genießen, sind für pianistische Krankheiten wie
Sehnenscheidenentzündungen, Kreuzschmerzen usw. besonders anfällig.
Diese konstitutionellen Voraussetzungen waren schon immer ein
starkes Auslesekriterium und das erklärt auch, warum es nur wenigen
Auserwählten, gelingt, den Gipfel der technisch-mechanischen
Perfektion und damit - mit etwas Glück - auch die angestrebte
Karriere, zu erreichen. Im Laufe der Geschichte des Klavierspiels
gab es jedoch immer besondere Genies, die über den Gipfel der
technisch-mechanischen Perfektion hinaus auch noch die höchsten
Ziele der musikalischen Interpretation erreichen konnten. Meist
handelte es sich dabei aber um eine Symbiose verschiedener
Elemente, die in halbbewusstem Zustand, während der ganzen
Entwicklung des pianistischen Lebens, sich mehr oder weniger
zufällig gefunden hatten und dem hochbegabten Pianisten, bei der
Verwirklichung seiner Ziele behilflich waren. Das zugrundeliegende
Problem besteht darin, dass es kaum kausal aufgebaute Methoden
gibt, die ein Ergebnis auf Ursache-Wirkungs-Funktionen garantieren
können. Die Mehrzahl der herkömmlichen Methoden basiert auf
persönlichen Erfahrungen, ohne die zugrundeliegende Erkenntnis von
fundierten naturwissenschaftlichen Gesetzen und empirisch
systematischen Versuchsreihen. Das Fehlen dieser Erkenntnis macht
es so schwierig die persönlichen Erfahrungen zielführend zu
übermitteln. Die tatsächlichen Eigenschaften eines "Endprodukts"
können nicht unabhängig vom Weg, auf dem dieses erreicht
(produziert) wird, betrachtet werden. Jede Methode hat die für sie
charakteristischen Eigenschaften und erzeugt daher auch ein ganz
spezifisches Endprodukt; man kann daher gleiche Ziele nicht mit
unterschiedlichen Methoden erreichen. Demzufolge müssen zuerst
klare Ziele definiert werden, bevor man sich auf die Suche nach der
geeigneten Methode zur Erreichung dieser Ziele begibt. Das
bedeutet, dass unterschiedliche Methoden nicht grundsätzlich als
gut oder schlecht einzustufen sind, sondern dahingehend, wie
geeignet sie zur Erreichung eines selbst definierten Zieles sind.
Diese Problematik - nämlich die Beziehung zwischen Ziel, Methode
und Eigenschaften des "Endprodukts" - hat mich veranlasst eine
eigene Methode zu entwickeln. Die Anwendung von Gewicht und Druck
innerhalb des Klavierspiels versetzte mich nicht in die Lage meine
immer klarer werdenden Ziele zu realisieren - vielmehr stellte es
ein Hindernis auf dem Weg zur Zielerreichung dar. Hat man bisher
allerdings immer mit Gewicht und Druck gespielt, so lässt es sich
kaum erahnen, welche neuen Horizonte (Ziele)(Siehe "Die modulare
Klaviertechnik") sich plötzlich eröffnen - so können
diese Ziele nicht einmal angestrebt werden - an sich ein
Teufelskreis.
- Muß die
Handhaltung wirklich "natürlich" sein?

Der Großteil aller pianistischen Schulen schlägt folgende
Handhaltung vor: Die Handfläche ist gebogen und bildet eine Höhlung
in der Innenseite, beziehungsweise eine Wölbung am Handrücken, und
der Daumen hängt (senkrecht gesehen) in einer Ebene hinter der
Ebene der Fingerknöchel. Dabei sollte sich die Hand in einem
Zustand vollkommener Entspannung (Passivität) befinden. Diese
Position der "heruntergefallenen Hand" hat auch eine andere
Eigenschaft: Die Handfläche befindet sich in ihrem "natürlichen
Zustand", nämlich gewölbt, weswegen die meisten Pianisten und
Pädagogen versichern, dieser Zustand wäre tatsächlich der
natürliche. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob es überhaupt
natürlich ist, Klavier oder irgendein anderes Instrument zu
spielen. Es gibt kaum eine unbequemere und unnatürlichere Position
als diejenige, die man beim Geigespielen (...die Geiger mögen
verzeihen!) benötigt. Ähnlich verhält es sich beim Klavierspielen -
wenn auch in einem geringeren Ausmaß. Wir können, daher mit
Sicherheit sagen, daß es zwar Menschen mit einer natürlichen
musikalischen Begabung gibt, sie deshalb aber nicht dazu genetisch
programmiert und daher physisch prädestiniert sind, ein Instrument
zu spielen. Selbstverständlich finden wir Individuen mit mehr oder
weniger physischer Begabung für diese Aufgabe, aber wir können,
vielleicht mit Ausnahme des Gesanges, nicht behaupten, daß ihr
Körper speziell für dieses Ziel gebaut sei. Es mag natürlich sein,
die Hände zu benützen um etwas zu ergreifen und in den Mund zu
stecken; bei diesem Vorgang bewegen sich der Daumen neben dem
zweiten und dritten Finger auf "natürliche Art". Ein Instrument zu
spielen ist dagegen nicht natürlich; gerade deshalb sollte man die
ökonomischste, effektivste und bequemste Form suchen, dieses Spiel
zu beherrschen. Das Problem der Passivität ist bereits oben
behandelt worden, Siehe Frage Nr. 14.
- Wie soll
meine Handhaltung ausschauen, wenn ich ohne Gewicht und Druck
spielen will?

Eine Klaviertechnik, die bewusst auf Gewicht und Druck verzichtet,
braucht eine Handhaltung, die das angenehme Verweilen des
Spielapparates (Arm, Hand und Finger) in der Luft sowie das
rechtzeitige Bremsen der Finger ermöglicht. Das Verweilen in der
Luft ist die Voraussetzung, um das Gewicht zu unterbinden und das
rechtzeitige Bremsen die Bedingung, um jede Aktivität des Fingers
nach dem Anschlag und somit auch jede Möglichkeit zu drücken zu
vermeiden. Die Hand schaut ungefähr so aus, wie wenn man jemanden
mit einem Haltzeichen warnen möchte. Sie ist flach, die Finger
befinden sich leicht gerundet über den Handrücken aufsteigend, und
alle Fingerknöchel (Grundgelenke) sind in einer Ebene mit dem
Daumen gereiht. Sein Mittelhandknochen befindet sich ebenfalls in
gleicher Höhe mit den Fingerknöcheln. Der Handballen ist ebenso
flach und von ausreichender Festigkeit, um mit ihm gegen eine
Fläche (z.B. die Kante der Tasten) klopfen zu können. Alle Finger,
mit Ausnahme der Spielenden, bleiben oben. Diese werden wie folgt
bewegt: Jeder Finger streckt sich zuerst nach vorne, um sich dann,
im gestreckten Zustand, nach unten in Richtung Taste zu biegen.
Diese Bewegung im gestreckten Zustand hat zur Folge, dass das
Grundglied bald nach Anfang der Bewegung in gleicher Ebene wie der
Handrücken zu stehen kommt und nur die Mittel- und Endglieder den
Weg zur Taste fortsetzen. Auf diese Weise und vorausgesetzt, dass
die nicht spielenden Finger oben geblieben sind, kann der Finger
wegen der zunehmenden Spannung nicht zu weit nach unten gelangen
und bremst seine Anschlagsbewegung ohne bewusstes Handeln und damit
auf natürliche Art. Gehoben werden die Finger auf dem selben Weg
wie sie zur Taste gekommen sind, das heißt, dass das Endglied und
keinesfalls das Grundglied das erste ist, das nach oben steigt.
- Und die
Körperhaltung... gibt es auch hier genaue Anweisungen? Wie hoch und
in welcher Entfernung zur Tastatur soll ich am Klavier
sitzen?

Wenn wir unser Ziel, Gewicht und Druck zu beseitigen, erreichen
wollen, spielt unser Körper eine enorm wichtige Rolle. Wie oben
beschrieben (Siehe Frage Nr. 13) muss
jedes Gewicht nach unten zur Sitzfläche geleitet werden und darf
auf keinem Fall in die Tasten fließen. Der Körper und die Teile des
Spielapparates, die zu ihm gehören, von den Armen bis zu den
Händen, dürfen keinerlei aktiven Druck auf die Finger und durch
diese auf den Tastengrund ausüben. Wir sitzen mit einem aufrechten
Rücken, der Kopf ruht mit seinem Schwerpunkt lotrecht in
Verlängerung der Wirbelsäule. Die Schulterblätter sind leicht
auseinander gezogen, während der Brustkorb nach vorne empor zeigt.
Die Arme sehen aus, als würden sie ein überdimensioniertes Hufeisen
in der Luft umklammern und die Ellbögen sind ungefähr eine
Handbreite vom Körper entfernt. Die Handrücken liegen in einer
Ebene mit der Oberseite der Unterarme. Die Sitzhöhe wird so
gewählt, dass die Unterarme, in der oben beschriebene Haltung,
leicht abfallend in Richtung der Tasten geneigt sind. Die
Entfernung des Körpers zur Tastatur ist in den meisten Fällen
richtig (die folgende Faustregel ist vom persönlichen Körperbau
abhängig), wenn beim Sitzen, die vordere Kante der Klavierbank
zwischen den Knien und der Hüfte auf halber Strecke liegt und die
Knie leicht unter der vorderen Kante des Stuhlbodens (=
Klaviaturboden) platziert sind. Diese Entfernung garantiert
gleichzeitig Stabilität und Freiheit in den Bewegungen. Im
Gegensatz dazu beeinträchtigt das Sitzen auf der ganzen Sitzfläche
in hohem Maße diese Freiheit. Ähnlich das Sitzen auf der Kante oder
auf einer nach unten geneigten, schrägen Sitztfläche, wie es bei
einigen Modellen von Klavierbänken der Fall ist: Es macht den
Körper so instabil, dass die Hände, um das Gleichgewicht nicht zu
verlieren, als Stütze für den ganzen Körper benötigt werden. Es ist
wohl klar, dass eine solche Vorgangsweise nur Druck auf den
Tastengrund verursachen kann!
- Wie wirken
sich physikalische Gesetze beim Musizieren aus?

Die Musik selbst unterliegt den Gesetzen der Physik in den
Bereichen Akustik und Zeit. Das Wort Akustik stammt aus dem
griechischen akoustikós, "das Gehör betreffend". In der Physik
versteht man daher unter Akustik die Lehre vom Schall, die alle
Erscheinungen umfasst, die man über das Ohr empfangen kann. Musik
entsteht und lebt in der Zeit. Sie ist aus diesem Grund nicht
konkret, nicht greifbar und somit nur ein Produkt unseres
Erinnerungsvermögens.
Die in der Musik so oft und so gern verwendeten Worte "Bewegung"
und "Geschwindigkeit" möchte ich in ihrer Bedeutung hier noch
einmal untersuchen: Die Bewegung und die Geschwindigkeit
(Geschwindigkeit als Indikator einer gleichförmigen, beschleunigten
oder verzögerten Bewegung) existieren in Wirklichkeit in der Musik
nicht. Wir können das Wort Geschwindigkeit verwenden, um die Zeit
zu präzisieren, die der Ausführende braucht, um sich an seinem
Instrument von einem Platz zum anderen zu bewegen und so eine Reihe
von Tönen zu erzeugen. Wir können aber nicht von Geschwindigkeit
reden, wenn es darum geht die Zeit zu bestimmen, die ein Ton
braucht, um die Entfernung zu durchlaufen, die ihn vom nächsten Ton
trennt. Es gibt aber keine Entfernung, weil Entfernung ein
räumlicher Begriff ist und es zwischen zwei Punkten in der Zeit nur
die Zeit geben kann! Entfernungen gibt es in der geschriebenen
Musik, auf dem Papier, aber nicht in deren zeitlicher
Verwirklichung.
Was wir unter Geschwindigkeit in der Musik verstehen, ist nichts
anderes als die höhere oder niedrigere Frequenz (gemeint ist die
Häufigkeit nicht die Tonhöhe!) in der Folge der Töne; die Erhöhung
dieser Frequenz wird als Erhöhung der Geschwindigkeit interpretiert
und umgekehrt. Es handelt sich um eine einfache Assoziation, weil
ein Objekt, das sich schnell bewegt, zum Beispiel eine Maschine, in
der Regel viel mehr Töne erzeugt - gleichzeitige oder aufeinander
folgende, mehr oder weniger regelmäßige - als ein Objekt, das sich
langsam bewegt.
Daraus wird klar, dass sich nicht die Musik bewegt, sondern wir
diejenigen sind, die sich bewegen, wenn wir unser Instrument
spielen.
Wie bei allen Körpern die sich bewegen, spielt auch hier die
Trägheit der Masse eine entscheidende Rolle: Sie bestimmt die
zeitliche Reihenfolge und die Intensität der Töne.
Die Trägheit der Masse äußert sich praktisch in jeder
durchgeführten Bewegung und beeinflusst diese; daher bildet sie
auch die Grundlage für die meisten Vortragsregeln. Jede
Richtungsänderung, zum Beispiel bei einem Wendepunkt, entwickelt
eine Zentrifugalkraft und eine Kurve, in der durch den Einsatz
neuer Kräfte die Bewegung zuerst abgebremst wird und erst im
Anschluss daran wieder zunimmt, sobald sich die neue Richtung
etabliert hat.
Ein anderes Beispiel sind die Akzente. Wir können zwischen zwei
Grundarten von Akzenten unterscheiden, den Ausdrucksakzente und den
Unterstreichungsakzente: Ausdrucksakzente verändern das Fließen der
Töne in ihrer zeitlichen Erscheinung, und somit den Rhythmus.
Unterstreichungsakzente heben nur manche Töne hervor, die in einer
anderen Notenwertebene, in einem anderen Instrument oder in einem
anderern Bereich desselben Instrumentes (z. B bei einer anderen
Stimme) vorkommen. Dabei wird die vorhandene Frequenz
(Pseudo-Bewegung) nicht verändert und der Rhythmus bleibt
unangetastet.
Zu den Ausdrucksakzenten gehören zwei Unterkategorien:
Platzgreifende- oder Platzraubende-Akzente und Impulsgebende- oder
Vorantreibende-Akzente. Die ersten finden wir bei Noten, die von
Tönen mit kürzeren oder gleichen Wert und die zweiten bei Noten,
die von Tönen mit längeren oder auch gleichen Wert gefolgt werden.
Im Falle der Platzgreifende-Akzente hat die lange Note die Zeit, um
die Wirkung der Trägheit abklingen zu lassen und sich so auf Kosten
der daraus folgenden kürzeren Noten auszubreiten. Der Ton mit dem
Impulsgebende-Akzent hat hingegen diese Zeit nicht und muss deshalb
seine überschüssige Energie der folgenden längeren Note übergeben.
Dadurch verliert er an Wert zugunsten dieser folgenden Note und die
Trägheit der Masse verursacht in diesem Fall eine Erhöhung der
Frequenz.
Alle Phänomene, die die Ausdrucksakzente betreffen, sind von der
Frequenz abhängig: Je höher die Frequenz und damit zugleich die
Geschwindigkeit unserer Bewegungen, die diese Frequenz verursachen,
desto größer ist auch der Einfluss der Trägheit. Somit kann der
Vorantreibende-Akzent auch bei gleichen Notenwerten die oben
genannte Wirkung hervorrufen. Im Gegensatz dazu kann der
Platzraubende-Akzent bei niedrigen Frequenzen, auch wenn ihm
gleichwertige Noten folgen, den betonten Ton auf Kosten dieser
Noten ausdehnen.
- Was ist
Spannung in der Musik, und wie wird sie erzeugt?

Man hört immer wieder von der Spannung in der Musik. Alle reden
davon, dass Musik ohne Spannung langweilig sei – aber was ist
Spannung wirklich, und wie kann man sie erzeugen? Wir haben schon
erwähnt, dass in der Musik auf natürliche Weise Gruppen entstehen,
dass es auch Yang- und Yin-Kräfte gibt, und dass all das in
hierarchischen Strukturen geordnet ist. Die kleinen Unterschiede in
der Länge der Noten bei der Gruppenbildung erzeugen genauso
Spannung wie der ständige Wechsel zwischen Yin und Yang. Damit
haben wir zwei wertvolle Mittel an der Hand. Was wir aber noch
nicht wissen, ist, was genau wir unter Spannung in der Musik
verstehen und wie sie zustande kommt. Mit dem ersten Ton, den wir
spielen, besteht sofort ein ständiger Fluss nach vorne, in die
Zukunft (weil Musik bekanntlich in der Zeit "lebt" und mit Hilfe
des Gedächtnisses entsteht), und dieser endet erst dann, wenn wir
den letzten Ton gespielt haben. Spannung entsteht, wenn wir
Widerstand leisten gegen diesen Fluss, wenn wir Kräfte einsetzen,
die unseren ständigen Marsch nach vorne bremsen. Je größer der
Widerstand, desto größer die Spannung. Es ist, als ob uns jemand am
Ärmel ziehen würde, wir lassen uns bitten und gehen dann doch mit,
aber nicht widerstandslos. Wenn die andere Person unseren
Widerstand spürt, zieht sie stärker. Wir wehren uns gegen eine
Kraft, indem wir eine entgegengesetzte Kraft einsetzen. Man kann
sagen, dass bei einer Fermate die Bewegung zum Stillstand kommt,
weil beide Kräfte im Gleichgewicht sind und dadurch die Spannung
ihr höchstes Niveau erreicht. Im Gegensatz dazu hinterlässt ein
müheloses Fließen kaum den Eindruck von Spannung. Spannung wird im
Leben immer in Verbindung mit Mühe, Anstrengung und schwer
erreichbaren Zielen in Verbindung gebracht. In der Musik, einem
"Spiegel des Lebens", kann es nicht anders sein. Spannung entsteht
also, wenn zwei entgegengesetzte Kräfte aufeinander wirken; die
Bewegung entwickelt sich immer in Richtung der stärkeren Kraft. Die
Stärke der Kräfte kann konstant sein oder auch sich ändern, also
zunehmen oder abnehmen. Je stärker die Kräfte werden, desto
langsamer wird die Bewegung und desto größer die Spannung. Die
Spannung beeinflusst alle unsere Bewegungen und somit auch den
Anschlag und das Beenden der Töne – wir können sie
schließlich hören und spüren...
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